Das dritte Jahr in Paraguay

Das dritte Jahr in Paraguay

Aller guten Dinge sind drei. Ob das auch für die Anzahl der Jahre seit meiner Auswanderung nach Paraguay gilt, erzähle ich heute mal ausführlich aus der ICH-Perspektive. Wenn ich diese Perspektive anführe, meine ich damit nicht das Ego, sondern den neutralen Beobachter, der bei mir seit einigen Jahren die Oberhand behält. Nun denn, das dritte Jahr in Paraguay ist rum und ich blicke auf einen Mix aus Langeweile, Selbsterkennung und spannenden Erlebnissen. Ich bin heimatlos geworden und weiß gelegentlich nicht, wo ich hingehöre. Aber ich weiß, wo ich nicht hingehöre.
Mit diesem Beitrag bin ich für einige vermutlich zu nah an der Wahrheit, also Achtung: Nichts für schwache Nerven.

Theater

Nach mehr als 3 Jahren Abwesenheit zur westlichen Welt nehme ich die Außenwelt als Theaterstück wahr. In diesem Akt stellen verschiedene Schauspieler ihre Rollen zur Schau. Ich bin jedoch nur noch gelegentlicher Zuschauer. Bringt mich das vorgeführte Stück nicht zum Lachen, verlasse ich das Theaterhaus. Das Leben ist sorglos geworden. Eine Errungenschaft, welche ich freiwillig nicht mehr abgeben werde. Nur noch ganz selten bekomme ich die Spitze des Eisberges zu sehen. Vor allem die Schreibkultur in sozialen Netzwerken im deutschsprachigen Raum erschreckt mich dabei jedes Mal aufs neue. Eine Mischung aus Schubladendenken und emotional hervorgerufenen Beschimpfungen aus der Sandkastenliga. Der Umgangston und der Belehrungsmodus wird leider täglich vorgelebt und wir Menschen imitieren, was das Zeug hält. Glücklicherweise ist diese Kultur auf den deutschsprachigen Finanzseiten nur sehr selten vorzufinden.
Das englischsprachige Weltgeschehen habe ich grob im Auge, man will ja kluge Finanzentscheidungen treffen, das ist blind nur schwer durchzuführen. Ansonsten spielt sich alles im kleinen Radius ab, der Rest der Welt kommt auch gut ohne mich zurecht.

Euthanasie

Damit hier niemand einschläft, berichte ich als Nächstes von der durchgeführten Sterbehilfe. Da ich mittlerweile weitsichtig bin, hatte mein Sohn die ehrenvolle Aufgabe, den in die Jahre gekommenen Wallach im Morgengrauen mittels unserer Glock 17 in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Das Pferd stand erstaunlicherweise bereits in dem zuvor abgesprochenen Bereich und schien schon auf sein Ende zu warten. Bereits der erste Schuss war ein tödlicher Treffer.
Solche Erfahrungen geben einen Einblick in die Macht und Verantwortung in Bezug zum Waffenbesitz. Der arme Gaul war in den Tagen zuvor bereits mit vollem Galopp gegen einen Baum gerannt und für einige Minuten K.O. Nebenbei war er nahezu blind, lief am Zaun lehnend vorwärts und hatte eine böse Verletzung in der Rückenpartie. Verletzungen sind in Paraguay ein heikles Thema, hier wird man ohne Wundbehandlung wirklich lebendig aufgefressen. Dieses Schicksal teilen sich hier viele der frei lebenden Hunde.

Totengräber

Wer bei solchen Themen negativ mitgenommen wird, dem empfehle ich, diesen Absatz zu überspringen:

Nun muss ein solches Tier natürlich auch wieder in den Kreislauf des Universums eingebracht werden und seine Form ändern. Hier in Paraguay sind da nur 3 Möglichkeiten realistisch. Erde, Feuer oder Geier.
So brutal es klingen mag, entschied sich der Besitzer für die Geiervariante. Diese reizvollen Tierchen wollen schließlich auch überleben. Leider ging die Rechnung nicht ganz auf. Zwar tummelten sich am dritten Tag mehr als 80 Geier um den Leichnam, diese waren jedoch nicht in der Lage, die Haut des Tieres zu durchdringen. Somit waren sie nicht in der Lage, das Aas zu fressen. Nach zwei weiteren Tagen war der Verwesungsgeruch so stark, dass die 100m entfernt wohnenden Nachbarn die Policia verständigten. Somit blieb dem Besitzer nur die Möglichkeit, die Feuerbestattung durchzuführen.
Die ganze Erfahrung packe ich in den Karton mit der Aufschrift: „Kann, muss aber nicht“.

Sensenmann

Bedauerlicherweise bin ich traumabedingt ein miserabler Schwimmer. Das hält mich jedoch nicht davon ab, Wassersport zu betreiben. Schließlich gibt es ja Schwimmhilfen. Bereits im ersten Jahr machte ich mich in Paraguay auf zum Kajakfahren auf dem gekippten See in San Bernadino. Als ich mein ganzes Geraffel im Kajak verstaut hatte und bereits einige Meter gepaddelt war, merkte ich, dass ich meine Schwimmweste zu Hause vergessen hatte.
Ich dachte mir: „Was soll schon passieren“.
Bis zu diesem Tage hatte ich auf dem Kajak tatsächlich keine Unfälle erlebt. Keine Rolle und kein Umkippen. Leider neigt mein Gehirn manchmal zu unüberlegten Handlungen und es wollte nach einiger Zeit auf dem Wasser unbedingt die Blase entleeren. Dabei kam es auf die glorreiche Idee, im Kajak aufstehen zu wollen.
Ich kenterte und fiel ins Wasser. Zunächst nahm ich Abschied vom Leben. Dann wollte ich aber doch nicht in diesem Brackwasser sterben. Ich versuchte mehrfach, wieder in das Kajak zu gelangen, was mir mangels Frühstück kräftemäßig nicht gelang. Im Überlebensmodus wurde mir bewusst, dass ich jetzt meine Kräfte einteilen muss. Bis zum Ufer waren es ca. 800m. Also drehte ich das Kajak auf den Rücken, krabbelte unter voller Körperspannung auf die Unterseite und paddelte auf dem Bauch liegend, mit dem Paddel vor der Brust langsam Richtung Ufer. Der See hatte an diesem Tag einen mittleren Wellengang und jede Welle musste ich ausbalancieren. Die Prozedur dauerte entsprechend lange. Irgendwann gelang es mir, eine freie Uferstelle auszumachen und anzulegen. Ich ließ mir Zeit, die Situation zu verarbeiten und machte mich danach auf den Rückweg. Dieses Mal ohne Aktionismus.
Kein Unglück ohne Glück, denn in meiner Hosentasche befand sich glücklicherweise noch der Autoschlüssel, welcher unter trockenen Umständen wirklich immer aus der Tasche dieser Hose rutscht.

Nomade oder Siedler

Wir haben uns in Paraguay mittlerweile viele Grundstücke angesehen. Leider war jedoch keines dabei, was unseren Ansprüchen gerecht werden würde. Die wenigen Kandidaten, die passend gewesen wären, scheiterten an Dingen wie Erbverfahren, Notarbindung oder Wegerechten.
Dazu sei gesagt, dass man als Europäer in Paraguay nahezu keinerlei Rechtssicherheit hat. Man ist bei Unklarheiten so gut wie immer im Nachteil. Immobilienkauf kommt für uns deshalb nur im wasserdichten Bereich in Frage. Und selbst dort gibt es keine Garantien.
Deshalb bleiben wir bis auf unbestimmte Zeit Teil der Nomadenfamilie.

Woanders

Es gab mehrfach Pläne, sich in einem anderen Land innerhalb Südamerikas niederzulassen. Dem steht aktuell jedoch die altersbedingte Bequemlichkeit im Wege. Weiterhin bliebt Paraguay in Bezug auf Lebenshaltungskosten und Freiheit ungeschlagen auf dem ersten Platz. Wir halten es deshalb für klüger, die Basis hier zu lassen und dafür mehr zu reisen.

Alltag

Die Tage gleichen sich. Vormittags Trading, danach Essen kochen und nachmittags gelegentlich einen Abstecher in die Zivilisation. Je nach Bedarf gibt es auch auf der Ranch noch Dinge zu erledigen. Ansonsten gibt es Serien oder andere digitale Inhalte auf der Mattscheibe zu sehen. Nicht das schillernde Leben, aber im Augenblick die angenehmste Option.

Enduro

Was man in Paraguay immer machen kann, ist der Sport auf zwei Rädern. Überall gibt es abwechslungsreiche Wege und für Freunde des Motocrossports wird immer etwas geboten. Da ich mir nichts mehr brechen will, bleibe ich auf den herkömmlichen Wegen, die sind gelegentlich anspruchsvoll genug. Wir nutzen derzeit argentinische Modelle, welche hier weniger als 2.000€ kosten, aber ein recht gutes Preis\Leistungsverhältnis vorweisen. Maschinen mit besserer Qualität und Leistung sind lediglich in überschaubaren Stückzahlen zu bekommen und kosten aufgrund der hohen Einfuhrzölle mehr als das sechsfache der zuvor genannten Modelle. Die Mittelklasse wird von Honda versorgt. In Asuncion gibt es auch Husqvarna, GASGAS und KTM.

Selbstversorgung

Nachdem mehr als 98% der Pflanzen durch Schildläuse vernichtet wurden, bin ich im Augenblick kaum motiviert, hier weiterzumachen. Stattdessen haben wir uns aber einen Dörrautomaten kommen lassen. Dieser bietet eine Trockenfläche von 2,5qm. Mit einer Ladung können wir ca. 15kg Bananen oder Äpfel trocken. Mangos gibt es in Paraguay in Hülle und Fülle, auch die packen wir zur Saison gerne dort hinein. Lecker.

Entwicklungsland

In den letzten Jahren sah ich in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen einen regelrechten Abbau. Die Ausgabeprioritäten hatten sich verschoben. Ganz anders in Paraguay. Jeden Monat gibt es neue Dinge zu sehen. Straßen werden gebaut, Strommasten gesetzt und Supermärkte modernisiert. Die Städte wachsen stetig und schnell.

Umzug vs. Auswanderung

Migration ist aktuell vermutlich in aller Munde. Nun sind wir selbst zu Migranten geworden. Und ich muss leider sagen, dass Migrationsvorstellungen oft sehr illusorisch sind. Nur in den seltensten Fällen schafft man so etwas wie eine Assimilation. Der gängige Weg ist es, seine antrainierte Kultur beizubehalten und diese den Landsleuten aufdrängen zu wollen. Nur in den jüngeren Jahrgängen ist das anders. Junge Menschen sind formbarer als alte Hasen. Die allermeisten Einwanderer bleiben mehrheitlich unter sich. Das gilt hin und wieder auch für uns. Wir arbeiten stetig daran, uns weiter zu integrieren. Was für mich jedoch gar nicht geht, ist der Versuch, die eigenen Glaubenssätze auf andere übertragen zu wollen. Gleichwohl man natürlich seine Vorstellungen vortragen bzw. anbieten kann.
Die Erfahrung zeigt, wenn es bei den Einwanderern bei einem Umzug bleibt, anstatt einer echten Auswanderung, dann wird früher oder später das bekannte Umfeld wieder aufgesucht.

Die Mitte

Ich befinde mich derzeit in der Mitte. Mein Geburtsland ist mir völlig schnuppe, mein Blog und gelegentliche Kommunikation auf X sind die letzten verbliebenen Fragmente meiner Herkunft. Das soll keine Verachtung darstellen. Ich spreche hier nur von meiner Person und meinen Ansichten und Empfindungen. In Südamerika fühle ich mich pudelwohl, aber ich komme mangels Sprachkenntnisse noch nicht wirklich an. Es führt kein Weg daran vorbei, ich muss mehr Spanisch lernen.

Hablo espanol

Wie vielleicht durchgesickert ist, bin ich kein Sprachgenie. Lange Zeit verwendete ich trotzdem Duolingo zur Verbesserung meiner spanischen Sprachkenntnisse. Irgendwann wurde mir das neue, auf Herzen basierende Bestrafungssystem, allerdings zu doof und ich verließ die Plattform. Ich klebte mir stattdessen kleine Zettel an die Wand, mit alltagstauglichen Übersetzungen zum Auswendiglernen.
Vor kurzem hatte ich die Lernplattform Drops gefunden. Die Lernmethode ist innovativ und macht mir wirklich Spaß. Der Preis für ein Abo auf Lebenszeit ist so günstig, dass ich dort nach einigen Wochen kostenloser Nutzung nicht widerstehen konnte. Nicht zuletzt, weil ich es mit 40% Nachlass für ca. 88€ ergattern konnte. Ich überschreite jedoch nur selten die Fünfminutengrenze, welche die kostenlose Version bietet.

Summertime

Ich gehöre zu den armen Seelen, dich mit der Zeitumstellung nie zurechtgekommen sind. Meine innere Uhr gibt den Takt vor und nicht völlig veraltete Entscheidungen. Da ich seit 3 Jahren keinen Wecker mehr verwende, kann ich ganz genau sehen, dass meine innere Uhr (Frühaufsteher) völlig unbeirrt von Zeitumstellungen tickt. Nun ist es endlich so weit, in Paraguay gilt seit September 2024 ausschließlich die Sommerzeit. Adios Zeitumstellung. Mein Dank ist grenzenlos.

Juckt mich nicht

Ein durch den Hühnerstall bedingter Befall von Milben in der für gewöhnlich abgedunkelten Leistengegend rund um das Fortpflanzungs- und Entleerungsorgan für Flüssigkeiten brachte das Gegenteil von dem, was die Überschrift zu suggerieren versucht. Eine regelmäßige Reinigungsaktion mit Desinfektionsalkohol (>=80%) schaffte nach zwei Tagen Abhilfe. Die Waschmaschine sorgte für die restlichen Dinge aus der Textilabteilung.
Beim kleinsten Jucken machte sich in der nachfolgenden Zeit Panik breit. Neuerliche Reinigungsorgien brachten die Hautflora durcheinander und ein niedlicher Hautpilz erblickte eine Woche später das Licht der Welt. Miconazol brachte hier nach 10 Tagen die Erlösung.

Sicherheit

Bei allem Glanz und Gloria, eine Modernisierung der Polizei ist nicht wirklich in Sicht. Insbesondere als Europäer steht man meist alleine da. Das halten nicht alle durch. In einigen Gegenden (Independencia, Caaguazu) sind Einbrüche und Überfälle an der Tagesordnung. Glücklicherweise überwiegend ohne körperliche Personenschäden. Uns ist bislang noch nichts dergleichen passiert. Ich merke jedoch, dass das paraguayische Umfeld unsere Gewohnheiten genau kennt und vermutlich ist es ein Vorteil, dass wir bei erfolgreich Eingewanderten zur Miete wohnen. Unsere Hunde dürften jedoch mindestens genauso bekannt sein. Gegen Überfälle mit Schusswaffen richten die nichts aus, aber den drogenabhängigen Einbrecher dürften die schon abschrecken.

No electricidad

Stromausfall ist nach wie vor ein Dauerthema. In diesem Jahr wurde mit bislang 92 Ausfällen ein Negativrekord aufgestellt. Die Moneten, die man gegenüber den Strompreisen in DE gespart hat, sind für Diesel draufgegangen. Dazu gesellen sich drei Sicherungen (25€ x 3), die ein Blitz beim Entladen in die Oberleitung in die ewigen Jagdgründe geschickt hat. Dazu sei getippt, alle stromtechnischen Einrichtungen auf dem eigenen Grundstück müssen selbständig finanziert werden.

Die Seele

Ich habe mich in den vergangenen Jahren ordentlich entschleunigt und mich mit meinen Dämonen auseinandergesetzt. Die tägliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Paraguayer ist immer wieder Balsam für meine Seele. Fast verschwunden ist der objektverliebte und asoziale Ego-Lifestyle. Ein ideales Umfeld für die zweite Halbzeit im doch so kurzen Menschenleben.

Fazit

Das dritte Jahr Paraguay zeigt mir wieder einmal pure Freiheit mit Abstrichen in puncto Sicherheit. Meine DNA ist nicht mehr da, wo sie nicht hingehört. Das nächste Reiseziel bleibt unbekannt. Forward ever, backward never.
Da wir hier jedoch immer mehr Wurzeln schlagen, wird es vermutlich bei Paraguay bleiben.

Hinweis

Das Titelbild soll bewusst provozieren. Es spiegelt nicht meine Sichtweise auf den Waffenbesitz und deren Gebrauch wider. Abseits von Fotoaufnahmen für Clickbait oder ernsthafte Anwendungsbereiche bleiben diese Gerätschaften unter Verschluss.


4 Kommentare zu „Das dritte Jahr in Paraguay“

  1. wow, danke für diesen tiefen Einblick in dein Leben!

    Auch wenn Teile davon traurig sind, habe ich den Artikel doch gerne gelesen, und wünsche dir weiterhin alles gute!

    beste Grüße
    Christopher

  2. Schön das Du ausgewandert bist. So ein sympathischer Bursche wie du lebt in Paraguay mit Sicherheit im Land der Wahl.

    Gruß Gernot

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