Inside Out

Inside Out

Verbindung hergestellt, Optik kalibriert, Audio synchronisiert. Willkommen in meinem Körper. Heute starte ich in Buenos Aires, der Hauptstadt von Argentinien. Begleite mich bei meinem Stadtrundgang und schau mir dabei zu, was ich alles wahrnehme. Danach berichte ich vom Rest der Reise.
Inside Out – Das Innere gerät nach Außen.

Die Anreise

Ich sitze im Reisefahrzeug und steuere nach der Abreise aus Paraguay die erste Mautstation an. Eine sehr freundliche Dame begrüßt mich und erwidert nach dem Bezahlvorgang meinen Abschiedsgruß. Alles so, wie ich es seit drei Jahren aus Paraguay kenne,
An der nächsten Mautstation beginne ich mit der Begrüßung, diese wird mit erstauntem Gesicht erwidert. Scheint hier in Argentinien wohl nicht üblich zu sein, die Person in dem kleinen kleinen Häuschen wahrzunehmen.
Etwas näher dran an Buenos Aires die nächste Mautbude. Die junge Frau schaut mich nach meinem „Hola“ nur skeptisch an. Ihr Gesicht sieht aus, als würde sie sagen, was ist denn mit dem Typ los. Die Reaktion auf mein „Ciao“, bringt in ihrem Gesicht Skepsis, Erstaunen und ganz leichte Freude hervor, nicht ohne den Blick auf meine Begleitung zu lenken und etwas amüsiert zu blicken. Alles ohne Worte. Gut, nicht jeder Mensch mag sprechen, ist eben so.
Kurz vor der Hauptstadt dann die vorerst letzte Kassierstation. Hier schaute nur noch ein menschlicher Arm aus dem kleinen Fenster heraus, kein Gesicht, keine Kommunikation. Ich muss erstaunt lachen.

Parken

Pickups sind in Paraguay gängige Fahrzeuge und finden immer einen Parkplatz. Ganz anders in Argentinien, dort dominiert das westliche Modell der eher kleineren Fahrzeuge. Zur Hotelsuche parken wir nach drei Runden um den gleichen Block vorerst an einem Supermarkt. Der Kauf einer Flasche Wasser beruhigt das Gewissen. Im Hotel ist die Freude groß, wir bekommen offeriert, wo der eigene Parkplatz zu finden ist. Macht eine große Runde um mehrere Blöcke. Die Einfahrt ist eng, aber mutig tasten wir uns vorwärts. Der Mann von der Rezeption kommt aufgeregt nach draußen und gibt mir zu verstehen, das mein Monstrum hier nicht hereinpasst. Nun gut, dann eben ab zur Alternative, die der Mann uns beschreibt. Ich gurke wieder in der Stadt herum. Nicht ohne einmal entgegen einer Einbahnstraße zu fahren. Wenden in 10 Zügen. Die Wegbeschreibung war unpassend, nach zwei Runden auf zum Hotel. Der Mann ist weg, nun ist eine Frau vorhanden, die sich besser auskennt. Neuer Versuch, den Block kenne ich nun. Ich mache ein Foto vom Parkhaus und latsche zum Hotel. Die Frau telefoniert und beachtet mich nicht. Ein paar Leute kommen herein und stehen ebenfalls am Tresen. Die Frau beendet das Telefonat und widmet sich den Herrschaften. Unmut springt in meine Wahrnehmung. Wer wird schon gerne ignoriert. Nachdem die Herrschaften abgefrühstückt wurden, wittere ich meine Chance, doch die Frau weist mich zurück. Irgendwas muss sie erst noch eintippen. Mein Gehirn signalisiert den Wunsch, dieses Hotel negativ zu bewerten. Ich sage mir, bleib erwachsen und behalte die Macht. Endlich ergibt sich der Dialog und nach Vorzeigen des Bildes erfolgt die Bestätigung und wir parken im obersten Stockwerk. Gepäck und Treppe halten fit.
Nach lediglich 2 Stunden haben wir einen sicheren Parkplatz und erreichen lachend das Hotel. Der Mann, die Frau und wir lachen und sprechen über unser Erlebnis.

Kirmes

Mehr als drei Jahre habe ich keine westlich geprägte Stadt gesehen. Ich schaue neugierig und freundlich in die Gesichter anderer Menschen. Es riecht nach Urin. Die Lautstärke der Fahrzeuge ist mir unangenehm. Alles wirkt hektisch. Die Menschen wirken isoliert und distanziert. Wenige lächeln. Dann merke ich es: Ich habe mich verändert. Irritiert begreife ich, dass ich einst genauso gewesen bin. Nur für mich, isoliert in meinen Gedanken und beschäftigt mit meinen Aufgaben. Ich sehe Menschen mit stark verändertem Aussehen. Ich ahne, welche Vorgeschichten dahinterstehen. Wieder eine Veränderung: Ich verurteile weniger. Hier und da ein Bettler. Ich bleibe stur, meine Einstellung sitzt. Jeder ist seines Glückes Schmied. Es riecht wieder unangenehm nach Urin. Hier und da betrete ich ein Geschäft. Die Menschen hier sind nicht aufdringlich, sondern bleiben ansprechbar. Das mag ich. Gelegentlich ergibt sich ein englischer Smalltalk, eine feine Sache, hier Ausländer zu sein.
Die Füße beginnen zu schmerzen, lange Zeit habe ich nicht solche Strecken zurückgelegt. Trotzdem scherze ich und behalte mein Lachen. Auch das war nicht immer so.

Inside Out

Ich stelle fest, dass Isolation Veränderung bringt. Ohne Aufgaben neigt mein Gehirn zur Selbstreflexion. Doch viel stärker ist der Einfluss der Umgebung. In Paraguay sind fast alle Menschen freundlich unterwegs. Ich habe das unbewusst übernommen (Imitation). Nun merke ich innerhalb anderer Menschengruppen, wer ich im Augenblick bin. Genauso sehen andere, wer ich im Augenblick bin. Mein Verhalten wird gespiegelt, ich sehe mein Inneres im Außen. Früher Theorie, heute reale Bestätigung.

Seitenwechsel

Je länger ich mich im neuen Spektrum der isolierten Persönlichkeiten aufhalte, desto mehr merke ich, wie ich beginne, mein Umfeld zu imitieren. Mein Verhalten hängt also noch davon ab, wie mein Umfeld ist. Ich beschließe, Wege zu finden, das zu beenden. Ich will meine Lebensfreude immer zeigen und mich nicht von finsteren Mienen verunsichern lassen. Inside Out.

Allein auf weiter Flur

Viele Tage später lege ich mit dem Vehikel hunderte Kilometer durch unbewohntes Gelände zurück. Weit und breit kein Fahrzeug, nur ab und an ein Fuchs oder ein Gürteltier. Ich spüre Angst. Wird der Kraftstoff reichen? Wird das Fahrzeug einen Defekt erleiden? Ausgesetztheit ist eine neue Erfahrung für mich. Das Angstlevel erscheint mir jedoch gering und kontrollierbar. Insgesamt sehe ich mich auf dem Roadtrip 6x diesem Szenario ausgesetzt.

Langeweile

Jeden Tag neue Eindrücke, nur noch wenige Routinen. Ich blühe auf, der Körper schmerzt. Lange Zeit habe ich mich nicht so viel bewegt. Aber der Geist bleibt willig. Langeweile wurde deaktiviert.

Ende

Weitere Tage danach, der Körper streikt, die Muskeln sind verhärtet. Ich vermisse den Rest der Familie. Die Freude auf ein Wiedersehen wird täglich stärker. Das muss wohl Heimweh sein. Die Zyklen werden kürzer, Tränen kämpfen sich ins Freie. Ich beschließe, die restlichen 1100km an einem Tag zurückzulegen. Nicht wirklich eine Grenzerfahrung, jedoch spüre ich keine Lust auf Wiederholung.

Anders

Ich bin zurück und sitze am nächsten Morgen am PC. Alles kommt mir sinnlos vor. Ich merke, nahezu alle Dinge, welche ich vor der Reise zelebrierte, entstanden aus der Langeweile. Nur wenig davon erfüllte mein Herz. Ich akzeptiere, dass es Änderungen geben muss. Inside Out.

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