Während meiner Autoreise durch Argentinien hatte mein Gehirn ausreichend Zeit, Analysen zu fahren. Irgendwo zwischen Buenos Aires und Mar del Plata wurde mir klar, wie bei unseren Gehirnen die Primärschaltung funktioniert. Das Gehirn ist in seiner Grundschaltung rein emotional unterwegs. Dabei sorgt es dafür, dass Gefühle, welche nicht ausgehalten werden wollen, vermieden werden. Aus dieser simplen Schaltung ergeben sich die Vermeidungsstrategien, welche wir uns im Laufe unseres Lebens aneignen.
Arbeit
Nehmen wir als erstes Beispiel einmal die Arbeit. Welchen Grund haben wir, um zu arbeiten? Vermutlich in erster Linie, damit wir etwas zu essen haben und ein Dach über dem Kopf. Nachfolgend vielleicht auch deshalb, weil wir (das Ego) irgendwie gesehen werden wollen. Sei es bei der Aufgabe selbst oder durch Objekte, welche vom Lohn finanziert werden können.
Drehe ich nun die Kamera in Richtung Vermeidungsstrategie, stelle ich fest, dass Essen und Wohnen auch irgendwo in freier Wildbahn realisierbar ist. Eine Arbeit im klassischen Sinne ist dazu nicht erforderlich. Aber will man das? Will man das Gefühl der Einsamkeit, der Langeweile oder der Anstrengung durchleben? Eine weitere Möglichkeit wäre der Diebstahl oder das Betteln, um etwas in den Magen zu befördern. Aber wie viele Menschen möchten ein solches Leben erfühlen?
Politik
Heutzutage wird gerne zensiert und eingesperrt. Ursache dürfte bei einigen Darstellern die Vermeidung von Kritik oder Herabsetzung sein, mit freundlichen Grüßen vom Ego. Allzu oft natürlich alles im Namen der Sicherheit.
Schwarmverhalten
Hand aufs Herz, wie oft folgen wir dem Schwarm, obwohl unsere innere Stimme immer wieder verrät, dass manche Dinge eigentlich nicht in Ordnung sind? Vermeidung von Ausgrenzung, Streit und den vorgenannten Dingen fallen mir sofort als Motiv ein. Alles Zustände, die unser Gehirn nicht aushalten möchte.
Flucht-Kampf-Reflex
Physische und psychische Gewalt – egal ob im zwischenmenschlichen Bereich oder als angeblicher politisch motivierter Vandalismus, hat in seinem Kern eine Vermeidung vorliegen. Häufig spielt hier das Ego seine volle Gefühlsvermeidungsstrategie aus. Bemerkt das Gehirn, dass meist altbekannte ungewollte Gefühle aufkeimen, reagiert der Verstand gerne mit Flucht oder Kampf. Gilt natürlich sowohl für den Angreifer als auch für das Opfer. Der Angreifer vermeidet ein Gefühl, wandelt die Vermeidung in Aktion um und das Opfer reagiert entsprechend seiner charakterlichen Disposition. Schmerz ist schließlich unangenehm.
Nahrung
Einer meiner Lieblingsthemen. Immer wieder spannend zu sehen, wie schnell man hierbei auf die emotionale Vermeidungsebene gerät. Da wird schnell mal argumentiert, was das Zeug hält. Nur deshalb, weil jeder seine eigene Vermeidungstechnik entwickelt hat. Der Fleischkonsument reagiert im Dialog mit dem Pflanzenkonsumenten schnell mit Relativierung oder Abwehr, vermutlich aus moralischer Überlegung heraus, der Pflanzenkonsument vermeidet dafür gerne den Geflügelstand und gibt sich als Missionar, da er die von ihm gefühlte Ungerechtigkeit gegenüber den Tieren nicht ertragen möchte.
Langeweile
Check, mag ich gar nicht. Wenn ich mich so umsehe, scheint es vielen anderen genauso oder noch schlimmer zu gehen. Ständig sucht das Gehirn nach Input, Langeweile soll vermieden werden. Eine wirklich starke Triebfeder.
Der Kapitalmarkt
Verluste erlitten? Dann reagiert die Primärschaltung ebenfalls. Entweder mit Dauervermeidung inklusive Rechtfertigung oder mit Alternativstrategien zur Vermeidung.
Selbstanalyse
Meine maßgebliche Prägung besteht aus Vermeidung von Gefühlen wie eingesperrt sein, abhängig sein und festgehalten werden. Beim Blick in den Rückspiegel des Lebens keine Überraschung. Im Grunde genommen jedoch kein Drama, da es irgendwie eine recht interessante Lebensgestaltung ermöglicht, denn wer nichts vermeiden will, wird im Leben auch nicht groß unterhalten.
Unschön
Weniger gut sind jedoch die Vermeidungsstrategien, welche verbrannte Erde hinterlassen. Insbesondere in jungen Jahren, in denen das Ego sich so richtig schön in den Vordergrund stellt. In gesteigerten Fällen entstehen ausgefeilte Strategien und sogar Vernichtung von Leben. Der knopfdrückende Gegner wird diffamiert und ausgegrenzt, gelegentlich auch liquidiert. Und das alles nur deshalb, weil die Gesellschaft so ungern über die hier genannte Thematik sprechen mag. Diese Themen sind schließlich nur für die schweren Fälle gedacht.
Erziehung
Ganz besonders in der Erziehung von Menschenkindern und verschiedenen Tierarten kommt die Primärschaltung voll auf ihre Kosten. Das Kind soll je nach Lage lieber leise sein, den Aufforderungen Folge leisten oder sich der Herde anschließen. Nur, warum eigentlich?
Nur für den Fall, dass es hier so aussieht, als gehöre ich der antiautoritären Gruppierung an, ich halte einen stabilen Rahmen für sehr wichtig. Jedoch will ich wie immer das Motiv kennen. Vermeide ich etwas in mir selbst, oder erfülle ich eine soziale Norm, die ein gutes Miteinander ermöglicht?
Außenwirkung
Egal ob Kleidung, Idealfigur oder Maskerade. Oft stecken auch hier die Vermeidungsstrategien dahinter. Wohlbefinden findet sich hier gelegentlich als Erklärung. Nicht immer fühlt man sich in der vorgegebenen Kleidung wohl. Genetische Dispositionen werden hier und da entweder nachmodelliert oder mit Dopamin kompensiert. Die Kommentare des Gegenübers sind der Antreiber.
Science Fiction
Der Körper, in dem ich mich aufhalte, hat schon eine ordentliche Begrenztheit, gleichwohl fasziniert mich die Einfachheit der Primärschaltung. Immer wieder träume ich von einem Leben außerhalb dieser Begrenztheit. Daraus scheint in absehbarer Zeit jedoch nichts zu werden. Sollte sich entgegen dieser Überzeugung eine passende Technik etablieren, werde ich das gerne ausprobieren. Bis dahin bleibt mir nur die Beobachtung und der Informationsaustausch.
Session closed
Das war es schon mit der kleinen Erkenntnisreise über die Primärschaltung. Nach meiner unvollkommenen Sachkenntnis komme ich zu dem Schluss, dass viele Tiere ebenso mit der Primärschaltung versorgt sind. Nur den rational planenden Teil, den besitzen die für gewöhnlich nicht. Zur Vermeidung bleibt also nur der Flucht-Kampf-Reflex.
Dieser Artikel dient nicht dazu, jemanden an die Wand zu stellen, sondern soll eine Anregung sein, die eine oder andere Strategie auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen.