Es gibt auf dem Planeten Erde mindestens einen Bereich, auf dem Rüstung wieder ein Thema ist und Gesetze ihre Gültigkeit verlieren. Dann gibt es Orte, an denen Menschen erschossen werden, weil deren Aussagen nicht dem allgemeinen Wertesystem entsprechen. Ganz anders ist es in Paraguay. Hier ist es dauerhaft entspannt und kaum einer lässt sich kirre machen. Zumindest bei den Einheimischen. Eingewanderte steigern sich erstaunlich häufig in Themen hinein, die einem hier völlig egal sein können. Dabei dient deren Landessprache und Herkunft als Primärquelle. Vermutlich liegt das an mangelndem Interesse zur eigenen Veränderung und der Langeweile, denn auch für uns hat das vierte Jahr in Paraguay in der Erlebnisbranche erneut nicht viel zu bieten gehabt. Dafür hat sich jedoch unser Lebensmittelpunkt geändert. Damit auch das Transportverhalten, die Lagerhaltung und die Ausgabepolitik. Die Details dazu beschreibe ich in den nächsten Abschnitten.
Wohnsitz
Ich werde den Teufel tun und hier meine Lokation preisgeben. Aber ich kann problemlos mitteilen, dass wir vor einigen Monaten deutlich näher an die Hauptstadt Asuncion gezogen sind. Das Haus, in dem wir residieren, entspricht, abgesehen von oftmals fehlenden rechten Winkeln in jeglichen Bereichen, in weiten Teilen der europäischen Bauart. Hierzu ist anzumerken, dass die hier oftmals erhöhte Luftfeuchtigkeit [50-88%] einen rationalen Wartungsaufwand erfordert [Entfeuchten, Heizen und Lüften]. Bleibt dieser aus, freut sich der Schimmel. In den Bädern stehen die Fenstergriffe deshalb auf 45°, damit ist immer etwas Luftaustausch gegeben.
Nun haben wir auch wieder westlich geprägte Nachbarschaft. Mit allen Vorteilen und Nachteilen, die wir aus der Vergangenheit kennen. Und wieder wird uns bestätigt: Bloß nichts kaufen, sondern als Mieter stets flexibel bleiben.
Wahrnehmung
Auf meiner letzten Reise fiel mir eine schöne Analogie ein, mit der ich mein Auswanderungserlebnis perfekt beschreiben kann. Vor vier Jahren setzte ich mich in ein Schlauchboot und paddelte davon. Nach einiger Zeit wurde Deutschland immer weniger sichtbar, aber die Erinnerungen stets präsent. Irgendwann sah ich nichts mehr von der alten Welt, dafür aber neues Festland. Die neuen Eindrücke rückten in den Fokus und trieben die Erinnerungen in den Hintergrund. Das neue Land rückte allmählich näher und nach Erreichung verglich ich neue Eindrücke mit alten Erfahrungen. Nach vier Jahren neuer Landeserfahrungen sind die Erinnerungen an das alte Land verblasst. Mehr und mehr gewöhne ich mich an das neue Umfeld und mache neue Entdeckungen. Hin und wieder treffe ich auf Pendler, die beide Welten regelmäßig besuchen. Dann stelle ich jedoch immer wieder fest, dass ich mit den Themen der alten Welt nichts mehr anfangen kann.
Trauma
Als ich erfuhr, dass mein damaliger Überlebenskampf im lediglich 3m tiefem Wasser stattfand, beschloss ich, mir diese Blöße nicht mehr zu geben und stellte mich in unserem Pool in aller Ruhe und mit kleinen Schritten meiner Angst. Recht schnell wurde mir klar, dass mein Körper oben schwimmt, wenn meine Lunge mit Luft gefüllt ist und nach unten sinkt, wenn ich ausatme. Klingt logisch, hatte mir bislang jedoch niemand erklärt.
Also plantschte ich mit vollem Lungenvolumen im Kreis herum und beobachtete meine körperlichen Reaktionen. Ich hielt in den ersten Monaten die Luft immer für mehrere Sekunden an und atmete schnell nach. Der Fokus richtete sich ausschließlich auf den Bewegungsablauf, der mittlerweile recht koordiniert abläuft. Zwar spüre ich immer noch die unterschwellige Angst, bekomme leicht raue Bronchien, spüre leichte Schleimbildung und huste wie ein Irrer, wenn etwas Wasser in die Atemwege gelangt, aber insgesamt schaffe ich vergleichsweise leicht 120m Strecke, ohne außer Atem zu geraten. Irgendwann schwamm ich auch mal über 600m, dann jedoch mit tiefer Atmung und hohem Puls.
Genug Distanz um in Südamerika im positiven Sinne einer Minderheit anzugehören und gleichzeitig Selbstvertrauen für weitere Verbesserungen zu gewinnen.
Wohlgemerkt, diese Angst war kein Kopfkino bei mir, sondern eine, mit einer heftigen, starken und nicht kontrollierbaren Reaktion. Damit hielt ich sie für unheilbar. Bewaffnet mit der Erkenntnis, dass ich einem Irrtum unterlag, stelle ich mich inzwischen auch meinen anderen Ängsten. Wohl wissend, dass ich das mit Mut und Ausdauer schaffen kann. Deshalb möchte jeden ermutigen, dies ebenso anzugehen und nicht den Weg der Vermeidung zu wählen.
Alltag
Um bei der Wahrheit zu bleiben, muss ich zugeben, dass ich sehr viel Zeit mit sinnlosen Dingen vertreibe. Teilweise, weil ich auf die Ausgaben achten muss, mir für große Aufgaben der Antrieb fehlt und ich mich unmöglich in das vergangene Hamsterrad zurückbegeben kann.
Trotzdem entscheide ich mich jeden Morgen erneut für diese Leben, denn meine Gesundheit dankt es mir.
Zweirad
Mehr und mehr wurde das Reisen und Fahren mit dem Motorrad zu einem festen Bestandteil meines Lebens. Früher eher belächelt, grüße ich heute freudig andere Motorradfahrer und freue mich über jede Erwiderung.
Begonnen hatten wir mit 200m³, stiegen um auf 250m³, reisen aktuell mit 300m³ und planen den Umstieg auf 800m³. Dies jedoch nur dann, wenn das Objekt der Begierde auch nach Paraguay kommt.
Sprache
Nachdem sich auch der zweite Anbieter zum Erlernen einer Sprache dem politischen Kurs unterworfen hat, habe ich es aufgegeben, auf diese Art zu lernen. Stattdessen bin ich wieder dazu übergegangen, alltägliche Wörter zu erlernen und werde vorerst bei dieser Methode bleiben.
Der Alltag kann mittlerweile recht problemlos mit meinem gewonnenen Sprachschatz bewältigt werden. Dank der Verwandtschaft zur englischen Sprache kann ich Texte weitestgehend verstehen.
Und was noch
Paraguay ist für mich mittlerweile nur noch das Sprungbrett zu Welt. Ich habe mich notgedrungen damit arrangiert, keinem Kulturkreis mehr anzugehören, auf der Welt zu Hause zu sein, anpassungsfähig zu bleiben und den gesamten negativen Scheiss auszublenden. So soll es bleiben!
Ausblick
Ideen habe ich immer viele, was passieren wird, vermag ich jedoch nicht zu sagen. Das vierte Jahr in Paraguay bleibt eher unspektakulär und die Tage der Abwesenheit [von Paraguay] werden allmählich mehr. Gut möglich, dass dieser Beitrag das Ende der Beitragsserie markieren wird.

